Führung mit Rückgrat: Christian Ambühl über Entscheidungen, Verantwortung und den Mut zu Fehlern

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Christian Ambühl über authentische Führung im Spannungsfeld von Erwartungen und Realität.

Führung bedeutet Entscheidungen treffen, wenn niemand sonst sie treffen will oder kann. Der Polizeichef Christian Ambühl hat diese Erkenntnis in verschiedensten Funktionen verinnerlicht: als Einsatzleiter mit Leben-oder-Tod-Entscheidungen, als Kommandant mit Personal- und Budgetverantwortung, als Stabschef im Corona-Sonderstab unter extremem Zeitdruck und heute als Geschäftsführer eines interkommunalen Polizeiverbands.

Führung im öffentlichen Dienst ist ein Balanceakt zwischen unterschiedlichen Erwartungen: Politik fordert Ergebnisse, Mitarbeiter brauchen Orientierung, Bürger erwarten Sicherheit, Medien beobachten kritisch und Vorgesetzte verlangen Rechenschaft. In diesem Spannungsfeld muss Christian Ambühl als Polizeichef täglich navigieren. Seine Karriere zeigt eine kontinuierliche Steigerung von Führungsverantwortung: vom Einsatzleiter, der 2004 mit der Bestnote „Leistungen und Verhalten übertreffen die Anforderungen“ ausgebildet wurde, über verschiedene Teamleiter- und Kommandantenfunktionen bis zur heutigen Position als Geschäftsführer der Polizei RONN. Seine Führungsphilosophie basiert auf klaren Prinzipien: Entscheidungen werden getroffen, nicht vertagt, Verantwortung wird übernommen, nicht delegiert, und Fehler werden eingestanden, nicht vertuscht. Diese Haltung ist unbequem, aber notwendig für Organisationen, die unter Druck funktionieren müssen.

Was Führung wirklich bedeutet

Entscheidungen treffen, wenn es unbequem wird

Einfache Entscheidungen trifft jeder. Die schwierigen sind das Maß für Führungsqualität: Wenn die Datenlage unklar ist, wenn verschiedene Interessengruppen widersprechen und wenn Zeit drängt. In solchen Momenten zeigt sich, ob jemand führt oder nur verwaltet.

Christian Ambühl kennt diese Situationen aus seiner gesamten Laufbahn. Als Einsatzleiter bei der Stadtpolizei Bern musste er in Sekunden über den Einsatz von Kräften entscheiden, mit unmittelbaren Konsequenzen für deren Sicherheit. Als Stabschef des Corona-Sonderstabs für die Stadt Grenchen musste er zwischen 2020 und 2022 unter enormem Zeitdruck Entscheide treffen, die Gesundheit und Wirtschaft betrafen.

Die Versuchung ist groß: Entscheidungen vertagen, weitere Analysen anfordern und die Verantwortung auf viele Schultern verteilen. Doch manchmal ist eine gute Entscheidung heute besser als die perfekte Entscheidung morgen – weil es morgen zu spät sein könnte.

Verantwortung übernehmen, nicht delegieren

„Treffe Entscheidungen und übernehme die Verantwortung“ – diese selbst formulierte Kernkompetenz im CV ist mehr als ein Satz. Sie ist ein Führungsprinzip, das sich durch die gesamte Karriere zieht.

Verantwortung übernehmen bedeutet nicht, alle Entscheidungen selbst zu treffen. Gute Führung bedeutet, Teams zu befähigen und Verantwortung zu delegieren. Aber die Gesamtverantwortung bleibt bei der Führungskraft. Wenn ein Projekt scheitert oder Fehler passieren, gibt es keine Ausflüchte.

Christian Ambühl lebt diese Haltung in seiner täglichen Arbeit. Als Polizeichef und Geschäftsführer der Polizei RONN trägt er die strategische, personelle, finanzielle und operative Führungsverantwortung. Diese Haltung schafft Vertrauen bei Mitarbeitern: Sie wissen, dass der Chef hinter ihnen steht.

Christian Ambühl: Führung in verschiedenen Kontexten

Von der Einsatzleitung zur strategischen Führung

Die Führungsentwicklung verlief über verschiedene Ebenen. Als Einsatzleiter bei der Stadtpolizei Bern lag der Fokus auf operativer Führung unter Zeitdruck. Als Teamchef des Mobile Einsatzkommandos beim Grenzwachtkorps kam die Verantwortung für Einsatzplanung, Ausbildung und den Aufbau einer neuen Einheit hinzu.

In der JVA Witzwil als Abteilungsleiter Sicherheit und Kommunikation erweiterte sich das Spektrum: Personalführung über längere Zeiträume, Ausbildungsverantwortung und Konzeptentwicklung. Als Kommandant der Polizei Stadt Grenchen war Christian Ambühl als Amtsvorsteher und Mitglied der Geschäftsleitung Direktionsverantwortlicher und damit für politische Geschäfte zuständig.

Krisenführung im Corona-Sonderstab

Die Zeit als Stabschef des Sonderstabs Corona für die Stadt Grenchen war eine besondere Bewährungsprobe. Von 2020 bis 2022 musste Christian Ambühl in einer Situation führen, die niemand vorher erlebt hatte: unklare Entwicklung, sich täglich ändernde Erkenntnisse, widersprüchliche Vorgaben und enormer öffentlicher Druck.

Seine Aufgaben umfassten Entscheide, Umsetzung und Unterstützung für die Stadt sowie das Gewerbe. Er war verantwortlich für Lagebeurteilung und Berichterstattung. Die Fähigkeit, in Stresssituationen ruhig und überlegt zu handeln – eine seiner selbst beschriebenen Kompetenzen – war hier essenziell.

Der Umgang mit Fehlern und Gegenwind

Fehlerkultur als Führungsaufgabe

In vielen Organisationen herrscht eine Kultur der Schuldzuweisung: Bei Problemen wird nach Verantwortlichen gesucht, die dann sanktioniert werden. Das Ergebnis: Fehler werden vertuscht, Probleme verschwiegen und niemand wagt innovative Ansätze.

Die Alternative ist eine konstruktive Fehlerkultur, bei der Christian Ambühl aus der Schweiz folgende Prinzipien vertritt:

  • Fehler werden offen angesprochen und gemeinsam analysiert
  • Jeder Fehler wird als Lernchance für die gesamte Organisation genutzt
  • Niemand wird für ehrliche Fehler bestraft, die bei komplexen Aufgaben entstehen
  • Das Verschweigen von Fehlern hat hingegen klare Konsequenzen
  • Führungskräfte gehen mit gutem Beispiel voran und stehen zu eigenen Fehlern

Diese Kultur entsteht nur, wenn Führungskräfte selbst Fehler zugeben. Fehlertoleranz und Qualitätsanspruch widersprechen sich nicht – nur wer Fehler machen darf, entwickelt sich weiter.

Gegenwind aus dem System

Führungskräfte im öffentlichen Dienst navigieren in einem komplexen Interessengeflecht. Nicht jede Entscheidung findet Zustimmung. Gegenwind kommt aus der Politik, aus dem eigenen Team oder aus der Öffentlichkeit.

Authentische Führung bedeutet, auch gegen Widerstände das Richtige zu tun. Das erfordert Rückgrat, Überzeugungskraft und die Bereitschaft, Konflikte auszuhalten. Der Sicherheitsexperte hat in verschiedenen Funktionen erlebt, wie Gegenwind entsteht und wie man damit umgeht.

Bei der Einführung des Tasers bei der Polizei Stadt Grenchen 2018 war politische Überzeugungsarbeit nötig. Bei der Sanierung des Rettungsdienstes musste Christian Ambühl das Vertrauen gewinnen, dass die geforderte Defizitreduktion von 400.000 Franken machbar war. In beiden Fällen gelang es durch fachliche Kompetenz und klare Kommunikation.

Was gute Führung ausmacht

Klarheit statt Beliebigkeit

Mitarbeiter brauchen Klarheit: Wohin geht die Reise? Was wird erwartet? Was sind die Prioritäten? Führungskräfte, die alles offenlassen und keine klaren Ansagen machen, verunsichern ihr Team.

Christian Ambühl formuliert auch in Ronn seine Führungskompetenzen klar: Ziel- und lösungsorientiert, hohe Auffassungsgabe, treffe Entscheidungen und übernehme Verantwortung. Diese Klarheit in der Selbstbeschreibung spiegelt einen Führungsstil wider, der auch im Umgang mit Teams deutliche Orientierung gibt.

Menschenkenntnis und Teamförderung

Führung bedeutet, mit und durch Menschen zu arbeiten. Die besten Strategien scheitern, wenn das Team nicht mitgeht. Deshalb ist Menschenkenntnis – eine weitere selbst benannte Kompetenz – zentral für Führungserfolg.

Die Wertschätzung der Mitarbeiter ist Christian Ambühl nach eigener Aussage sehr wichtig. Das Übertragen von Verantwortung sieht er als Chance zur Förderung der Mitarbeitenden und für den Betrieb selbst. Diese Haltung unterscheidet entwicklungsorientierte von kontrollorientierten Führungskräften.

Identifikation mit Auftrag und Organisation

Führungskräfte, die sich nicht mit ihrer Organisation und deren Auftrag identifizieren, wirken unglaubwürdig. Mitarbeiter spüren, ob der Chef hinter der Sache steht oder nur einen Job macht. Diese Identifikation ist eine weitere Kompetenz, die der Polizeichef selbst benennt.

Identifikation bedeutet nicht unkritische Loyalität. Es bedeutet, die Organisation ernst zu nehmen, sich für deren Erfolg verantwortlich zu fühlen und bereit zu sein, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.

Führung zwischen Betriebswirtschaft und Menschen

Als Polizeichef und Geschäftsführer trägt Christian Ambühl strategische, personelle und finanzielle Führungsverantwortung für die Polizei RONN. Das bedeutet, Budgets zu verantworten, Ressourcen effizient einzusetzen und gegenüber dem Vorstand Rechenschaft abzulegen. Gleichzeitig bedeutet es, ein Team zu führen, das unter Belastung arbeitet und selbst Unterstützung braucht.

Die Kunst liegt darin, diese beiden Dimensionen nicht gegeneinander auszuspielen: Betriebswirtschaftliche Verantwortung und menschenorientierte Führung widersprechen sich nicht. Nachhaltige Leistungsfähigkeit entsteht nur, wenn beide Aspekte berücksichtigt werden.

Führung braucht Rückgrat

Die Führungsphilosophie von Christian Ambühl lässt sich auf eine Kernaussage reduzieren: Führung bedeutet Verantwortung übernehmen – in guten wie in schlechten Zeiten, für richtige wie für falsche Entscheidungen, nach außen wie nach innen. Diese Klarheit ist selten geworden in einer Zeit, in der viele Führungskräfte mehr auf ihre Karriere als auf ihre Aufgabe achten.

Seine Karriere zeigt eine kontinuierliche Entwicklung von operativer Einsatzführung zu strategischer Organisationsleitung. In jeder Station lernte er neue Facetten von Führung kennen: Entscheidungen unter Zeitdruck als Einsatzleiter, Teamaufbau als Kommandant von Spezialeinheiten, Ausbildungsverantwortung in der JVA Witzwil, politische Führung als Kommandant in Grenchen, Krisenmanagement im Corona-Sonderstab und heute strategische Führung eines interkommunalen Verbands.

Die selbst formulierte Kompetenz „Treffe Entscheidungen und übernehme die Verantwortung“ ist mehr als ein Satz im Lebenslauf. Sie ist gelebte Führungspraxis, die sich täglich bewähren muss. Für andere Führungskräfte ist die Botschaft klar: Authentische Führung erfordert Mut – den Mut zu entscheiden, den Mut zu Fehlern zu stehen und den Mut, auch gegen Widerstände das Richtige zu tun. Christian Ambühl verkörpert diese Form von Führung mit Rückgrat und zeigt, dass sie auch in komplexen Organisationen möglich und notwendig ist.